Die Lambertuskirche – eine kurze Geschichte
VON PETER HACHENBERG

Früher oder später betritt sie fast jeder einmal, ob als Tourist oder als Bürger der Stadt: die Basilika St. Lambertus, die älteste Kirche in der Altstadt und eines der bekanntesten Düsseldorfer Wahrzeichen. Markant ist sie vor allem auch wegen des verdrehten „schiefen“ Turms, der zurückgeht auf einen Brand im Jahr 1815, als man bei der Wiederherstellung für die Balken möglicherweise zu frisches Holz verwendete, das sich dann verzog. Eine andere Theorie besagt, dass man beim Wiederaufbau mit der schönen neuen „Marienkrone“ die einfachen Dachschindeln mit Blei verstärkt habe, was das Gewicht so erhöhte, dass sich das Dach nach Westen neigte und verdrehte.
Unvereinbar sind beide Hypothesen ja nicht: Das frische Holz kann sich unter dem zusätzlichen Gewicht weiter verformt haben. Wie dem auch sei, am schönsten ist sowieso die legendäre Erzählung, dass der Teufel beim Anblick des so wunderbar gelungenen Werkes in Wut geriet und versuchte, den Turm aus dem Boden zu ziehen, wobei er ihn verdrehte.
Der heldenhafte Retter der Kirche jedenfalls, der unter Einsatz seines Lebens in den brennenden Turm stieg, war der Schlossermeister Josef Wimmer, dem man mit einer Tafel am Turm gedenkt, aber übrigens auch mit einer Grabtafel auf dem Alten Bilker Friedhof (Sternwartpark) an der Volmerswertherstraße zusammen mit anderen bekannten und weniger bekannten Persönlichkeiten wie dem Heiligenmaler Ernst Deger oder Percy Freiligrath, dem Sohn des berühmten Revolutionsdichters der Jahre 1848/49.

Wie aber entstand der so prächtige und stolze gotische Bau? Da muss man ein wenig in der Geschichte blättern und zurückgehen bis zu jener denkwürdigen Schlacht bei Worringen – heute ein nördlicher Stadtteil von Köln – im Jahre 1288. Adolf V., der Graf von Berg mit seinem Stammsitz Schloss Burg in Solingen, hatte in einer der gewaltigsten und blutigsten Schlachten des Mittelalters zusammen mit seinen Verbündeten am 5. Juni 1288 die Truppen des Erzbischofs von Köln, Siegfried von Westerburg, und dessen Alliierte vernichtend geschlagen, übrigens auch mit Hilfe der bergischen Bauern, die in ihrer Panik wild um sich schlagend die schwer gepanzerten Ritter des Erzbischofs von den Pferden holten.
Bischöfe, und insbesondere der Kölner, waren in diesen Zeiten nicht nur Diener Gottes, sondern durchaus auch weltliche Landesherren, die über ein stattliches militärisches Potential geboten. Das Erzbistum Köln reichte z.B. Ende des 13. Jahrhunderts am Westufer des Rheins in einem Streifen von etwa Xanten am Niederrhein im Norden bis südlich hinter Bonn und umfasste auch große Gebiete östlich des Flusses (Hantsche, S. 32 – 35). Eine pikante Note der Historie will es nebenbei bemerkt, dass die Bürger der großen und stolzen Handelsstadt Köln sich vom Erzbischof, der auch ihr Stadtherr war, befreien wollten und sich mit dem Grafen von Berg zusammenschlossen.
Graf Adolf gedachte jedenfalls, die Lage zu stabilisieren, und da kam ihm wohl ein Dörfchen an der Mündung der Düssel gelegen, das strategisch als Stützpunkt gegen das kölnische „Ausland“ westlich des Rheins dienen konnte. Am 14. August 1288, einen Tag vor dem wichtigen Fest der Himmelfahrt Marias, erhoben er und seine Gattin Elisabeth von Geldern Düsseldorf zur Stadt. Was eine Stadt war, bemaß sich seinerzeit nicht an der Größe oder Einwohnerzahl der Ortschaft, sondern war in erster Linie eine rechtliche Angelegenheit im wahren Wortsinn: Eine Stadt besaß Rechte, die ein Dorf nicht innehatte, so eine eigene Gerichtsbarkeit, eine Stadtbefestigung in Form einer Mauer und nicht zuletzt das Marktrecht. In Düsseldorf konnte nun montags regelmäßig ein Wochenmarkt abgehalten werden. Dazu kamen zwei Jahrmärkte, einer zu Pfingsten im Frühjahr und einer zum Fest des hl. Lambertus Mitte September. Dieser Lambertus, das sei hier noch erwähnt, war Bischof von Maastrich und erlitt nach politischen Ränkespielen im Jahre 705 den Märtyrertod.
Die Größe der Stadt war jedenfalls kaum der Rede wert. Drei- bis vierhundert Einwohner, zumeist Bauern, verteilten sich auf einer Fläche, deren Ausmaß Hugo Weidenhaupt in seiner immer noch lesenswerten „Kleinen Geschichte der Stadt Düsseldorf“ wie folgt skizziert: „Die junge Stadt nahm einen sehr kleinen Raum ein, der nach Süden durch den nördlichen Düsselarm und nach Westen durch den Rhein seine natürlichen Grenzen fand. Nach Norden war in den Bezirk die heute „Altestadt“ genannte Straße einbezogen. Im Osten verlief die Stadtgrenze im Zuge der heutigen Liefergasse.“ (Weidenhaupt, S.29)
In der Ursulinengasse am Ursulinengymnasium unmittelbar neben der Kreuzherrenkirche hängt an der Hausfassade eine Tafel, die dort 1983 angebracht worden ist. Auf dem Boden davor findet sich eine Einlegearbeit in rotem Backstein, die den Verlauf der Stadtmauer 1288 an dieser Stelle markiert.

Auf genannter Tafel lässt sich der Umfang der Stadt nach 1288 tatsächlich wunderbar nachvollziehen.

Im Stadtmuseum findet sich übrigens ein älteres, schon etwas angestaubtes, aber immer noch sehr ansehenswertes Modell des Städtchens um 1300.
In der Tafelmitte finden wir dann auch den Grundriss einer Kirche, und dies ist in der Tat unsere heutige Lambertusbasilika, hier „Stiftskirche“ genannt. Was hat es damit auf sich?
Nach der Erhebung des Dörfchens zur Stadt machten sich Graf Adolf und seine Nachfolger daran, das bereits vorhandene romanische Kirchlein zu einer Stiftskirche aufzuwerten. Nunmehr sollte nicht mehr nur ein einzelner Pfarrer vielleicht mit Hilfsgeistlichen in dieser Kirche dienen, sondern eine ganze Gruppe von Geistlichen, die sog. Stiftsherren, die natürlich entsprechend mit „Pfründen (Präbenden)“ materiell ausgestattet werden mussten, die eben von wohlhabenden Spendern, so 1303 von Graf Wilhelm und den reich begüterten Rittern von Eller, gestiftet wurden. Nach der endgültigen offiziellen Anerkennung des Stiftes durch den Papst im Jahre 1306 entwickelte sich die neue Gemeinschaft zwar nur langsam, erreichte aber Ende des 14. Jahrhunderts mit vielleicht 40 Mitgliedern eine gewisse Größe. Entscheidend dazu bei trug der für die Entwicklung der Stadt wichtigste bergische Herzog, Wilhelm I. (reg. 1360 – 1408) , der zusammen mit seiner Gattin Anna dem Stift im Jahre 1392 allein 19 Höfe, z.B. in Wittlaer, Hamm, Himmelgeist, Kaiserswerth und Gerresheim vermachte, dazu zwei Mühlen, diverse Renteneinnahmen und erhebliche Mengen an Getreide und Wein. (Die Schenkungsurkunde in dtsch. Übersetzung in: Hampel, S. 208 f.)
Die Stiftsgemeinschaft selbst hatte eine Ämterstruktur: An der Spitze stand ein Dechant (Dekan), dazu kamen hohe Positionen wie die des Scholasters, der den Schriftverkehr des Stiftes führte und für den eigenen Nachwuchs, aber auch die städtische Schule verantwortlich war, die des Thesaurars, der das Stiftsvermögen verwaltete und auch den Kirchenschatz hütete und die des Kantors, der den Gottesdienst vorzubereiten und zu verschönern hatte. Die Ämter und die damit verbundenen Aufgabenstellungen variierten im Laufe der Zeit freilich.
Man darf in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass der Dienst an Gott den Tagesablauf der Stiftsherren wesentlich bestimmte. Man versammelte sich „zur Matunin kurz nach Mitternacht, zur Prim morgens gegen 6 Uhr, zur Terz um 9 und zur Sext mittags gegen 12; ungefähr um 3 Uhr nachmittags wurde die Non und abends gegen 6 die Vesper gebetet; mit der Komplet gegen 9 Uhr gingen die kanonischen Horen (Gebetszeiten/PH) zu Ende.“ (Brzosa, S. 91 Anm. 380)
Schauen wir noch ein wenig genauer auf die Tafel, werden wir bemerken, dass dort der Grundriss der Kirche in seiner zeitlichen Entwicklung abgebildet ist.

In der Mitte sehen wir schraffiert das romanische Ursprungskirchlein, wie es schon 1288 existierte. Man kann es sich wahrscheinlich ähnlich vorstellen wie die kleine romanische Nikolauskirche in Düsseldorf Himmelgeist oder auch Alt St. Martin in Bilk, obwohl Genaueres nicht bekannt ist.

Bis etwa Mitte des 14. Jahrhunderts wurde dann eine erste, nunmehr gotische Erweiterung vorgenommen. Der Chor, also der Altarraum, wurde vergößert – auf der Tafel markiert mit der Jahreszahl 1350. Hier befinden sich bis heute auch der Pfarraltar mit dem Reliquienschrein des hl. Apollinarius, der barocke Hochaltar und das Chorgestühl, in dem die Stiftsherren dem Gottesdienst beiwohnten. Außerdem wurde bereits mit dem Bau des später bekanntermaßen in Schieflage geratenen Turms (samt eines weiteren Jochs) begonnen.
1932 hat Oskar Karpa die Baugeschichte rekonstruiert und folgende Skizze der Situation um 1350 angefertigt:

Man kann hier sehr schön erkennen, wie zwischen den höher aufragenden gotischen An- bzw. Neubauten – links der noch unvollendete neue Turm mit einem weiteren Joch an der Stelle des alten romanischen Turms, rechts der neue Chor – noch Teile des romanischen Kirchleins eingezwängt sind (vergl. differenziert dazu Nußbaum 1984, S. 3 f.) In einem weiteren Schritt wurden dann diese romanischen Reste beseitigt, die Teile neu verbunden, und um das Ganze legte man – auf der Tafel mit nach 1392 angegeben – einen gotischen Mantel mit Seitenschiffen und einem Chorumgang, der Turm wurde möglicherweise erst einige Zeit später vollendet. Der nun entstandene gotische Bau bekam dann auch eine edlere Bestimmung: Am 13. Juli 1394 wurde die Stiftskirche „zu Ehren unserer lieben Frau“, also der Gottesmutter Maria, geweiht, das Stift wandelte sich in ein Marienstift. Der hl. Lambertus wurde neben anderen zu einem Nebenpatron.
Was aber veranlasste Wilhelm dazu, solch ein kostspieliges Projekt umzusetzen? Das Stift mit beträchtlichen Pfründen zu versehen, den Ausbau der Kirche voranzutreiben? Wir können davon ausgehen, dass er u.a. Repräsentationsgründe hatte. Er war nämlich 1380 vom deutschen König Wenzel in den Stand eines Herzogs versetzt worden, zur damaligen Zeit ein – salopp gesagt – ziemlicher Karrieresprung, denn von nun an zählte Wilhelm zur politischen Elite der Reichsfürsten. Diese Funktion musste sich auch im Ausbau des nun immer häufiger als Residenzstadt dienenden Düsseldorf ausdrücken. Wilhelm erweiterte nicht nur das eigentliche Stadtgebiet nach Osten und vor allem nach Süden beträchtlich und ließ einige Dörfer eingemeinden, so Bilk und später Hamm, sondern er sorgte eben auch dafür, dass die Stiftskirche dem Rang eines Herzogs gemäß ausgebaut und ausgestattet wurde.
Um 1400 herum hatten Stift und Kirche denn auch einen gewissen Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht. Wohl schon 1438 kamen die ersten Ordensbrüder der Kreuzherren als geistliche Konkurrenten in die Stadt, was von den Stiftsherren nicht gerne gesehen wurde. Der neue Orden ließ ab 1443 die Kreuzherrenkirche bauen, die zweitälteste Kirche in der Altstadt. Das Marienstift und seine Kirche blieben jedoch, nicht zuletzt als Grablege der bergischen Fürsten, wesentliche Konstanten im Leben Düsseldorfs und blühten besonders im 16. Jahrhundert wieder auf. So schreibt Wolf-Rüdiger Schleidgen „Entsprechend profitiert das Stift von der Blüte des Hauses Kleve-Jülich-Berg im 16. Jahrhundert, aber auch vom neuen Reichtum in der Stadt. Die Reihe der frommen Stiftungen der Bürger, der Stiftskleriker und der Mitglieder des herzoglichen Hofes, darunter vor allem die im herzoglichen Dienst als Zöllner reichwerdenden Familien (…), reißt nicht ab.“ (Schleidgen, S. 63)
Im 17. Jahrhundert musste die Siftskirche ihre Funktion als Grablege und Hofkirche an das barocke St. Andreas abgeben, das als Kirche der Jesuiten von den neuen Herrschern in Düsseldorf, den aus Bayern stammenden Herzögen von Pfalz-Neuburg, errichtet worden war. Der bekannteste dieser Herrscher, Kurfürst Johann Wilhelm II. – unser Jan Wellem –, hat bekanntlich im Mausoleum von St. Andreas seine letzte Ruhestätte gefunden. 1634 wurde die Stiftskirche durch die Explosion des nahegelegenen Pulverturms schwer beschädigt und der Altarraum danach mit barockem Hochaltar wiederhergestellt, aber 1805 endete die Geschichte des Marienstiftes. Es wurde im Rahmen der Säkularisation aufgelöst, und die Kirche erhielt mit ihrem ersten Patron, dem hl. Lambertus, ihren ursprünglichen Status als Pfarrkirche zurück. Formal ist sie seitdem den anderen Pfarrkirchen gleichgestellt, aber tatsächlich wird sie – und da wird jeder Düsseldorfer zustimmen – bis heute „als Hauptkirche der Stadt“ angesehen. (Oepen, S. 264)
Literatur (Auswahl)
Basilika St. Lambertus Düsseldorf-Altstadt, Lindenberg (Kunstverlag Josef Fink) 2. Auflage 2020
Brzosa, Ulrich: Die Geschichte der katholischen Kirche in Düsseldorf. Von den Anfängen bis zur Säkularisation, Köln (Böhlau) 2001
Hampel, Bernhard: Dokumentation zur Geschichte der Stadt Düsseldorf (Quellensammlung) Bd. 12 – Düsseldorf im Mittelalter 1288 – 1510, Pädagogisches Institut der Landeshauptstadt Düsseldorf (Hg.), Düsseldorf 1990
Hantsche, Irmgard: Atlas zur Geschichte des Niederrheins, Schriftenreihe der Niederrhein-Akademie Bd.4, Bottrop und Essen (Pomp) 2000 (4., überarbeitete Auflage)
Landesbildstelle Niederrhein Hrg.: Rheinisches Bilderbuch Nr. 8: Die Stifts- und Pfarrkirche St. Lambertus zu Düsseldorf, Ratingen (A. Henn Verlag) 1956
Nußbaum, Norbert: St. Lambertus in Düsseldorf, Rheinische Kunststätten Heft 293, Köln 1984
Oepen, Joachim: St. Lambertus, in: Benedikt Mauer, Enno Stahl (Hrg.) Düsseldorfer Erinnerungsorte, Essen (Klartext) 2018, S. 262 – 265
Preuß, Heike: Düsseldorf um 1288, in: Susanne Anna, Heike Preuß (Hg.), Stadtgründung (Publikation anlässlich der Ausstellung „Stadtgründung“ im Stadtmuseum Düsseldorf 2013), Düsseldorf (Droste) 2014, S. 56 – 75
Richartz, Hermann J.: St. Lambertus – Ons grote Kerk en Düsseldorf. Aufsätze zur Geschichte und Kunst in und um St. Lambertus, Düsseldorf 1990
Schleidgen, Wolf-Rüdiger: Das Stift St. Lambertus / St. Marien zu Düsseldorf, in: Hermann J. Richartz, S. 59 – 66
Weidenhaupt, Hugo: Kleine Geschichte der Stadt Düsseldorf, Düsseldorf (Triltsch) 1983 (9. Aufl.)
© Dr. Peter Hachenberg (zuletzt angepasst 26.04.22)
Überarbeitete und erweiterte Fassung des Beitrages im lokalbuero.com vom 30.08.2020.