Roggenbrot, Franzosensupp, Gemüse durcheinander

Die Düsseldorfer Hausmannskost Ende des 19. Jahrhunderts

VON PETER HACHENBERG

Düsseldorf entwickelte sich im 19. Jahrhundert von einem verschlafenen Beamten- und Künstlerstädtchen in geradezu schwindelerregendem Tempo in eine moderne Industriestadt. In etwas über 50 Jahren (1852 – 1905) versechsfachte sich die Einwohnerzahl nahezu von rund 43.000 auf über 250.000. Die wirtschaftlichen Strukturen änderten sich drastisch: Besonders die Metallbranche (Hüttenwesen, Metallverarbeitung, Maschinenbau), in der 1907 fast 43% der Beschäftigten arbeiteten (1875: ca. 29%), erwies sich dabei als treibender Faktor. (1)

Neben das traditionelle Kleinbürgertum der mittleren und niederen Beamten, der Handwerker, kleinen Kaufleute und Ladenbesitzer traten nun auch die Gruppe der Angestellten und eine zunehmend selbstbewusstere Arbeiterschaft, die zumindest in Teilen am wachsenden Wohlstand partizipierte. Bei allen objektiven oder nur gefühlten kulturellen und sozialen Unterschieden zwischen den genannten Gruppen: Die Familien waren groß, das Essen musste auf den Tisch, und der Geldbeutel war nicht allzu prall gefüllt.

Marktplatz um 1900 (Quedenfeld 1909, http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/titleinfo/5697646)

Die „Hausmannskost“ dieser mehr oder weniger „kleinen Leute“ beschreibt 1931 sehr schön anschaulich Paul Boskamp in der Heimatzeitschrift „Jan Wellem“ (2):

„In den Jahren 1880 bis 1890 findet man in den niederrheinischen Städten in Bezug auf das Essen allgemein verbreitete Grundzüge, wenn auch die eine oder andere Stadt ihre Besonderheiten aufwies. Die genannten Jahre waren dadurch ausgezeichnet, daß es ungewöhnlich viele hungrige Mäuler gab. Das waren die vielen, vielen Kinder, die in dem geeinten neuen großen Deutschland Platz finden sollten.

Wie gelang es nun, die Kinder zu ernähren? Die Antwort erhält man aus einer näheren Prüfung der Hausmannskost am Niederrhein.

Das Brot war heilig, darum wurde gebetet, es wurde gesegnet, wenn es angeschnitten wurde (zumindest in den traditionell katholischen Haushalten/PH) Brot wegzuwerfen, zu versauen, zu „verknusen“ (3) wie es mundartlich hieß, war eine Sünde und eine verächtliche Tat.

In die Familie, die von 1880 bis 1890 aus zehn bis zwölf Köpfe bestand, kamen wöchentlich sieben Schwarzbrote zu sechs Pfund. Reines grobes Roggenbrot. Diese Brotmenge wurde aufgebessert durch den alle 14 Tage von der Großmutter eintreffenden Brotsack. Darin waren Brotrinden, Stücke von Weiß- und Schwarzbrot, die als Ueberbleibsel gesammelt, auf eine Schnur geriehen und getrocknet waren. Von diesem Brote wurde Dienstags und Freitags die Brotsuppe gekocht; zu ihr waren jedesmal auch fünf Liter Buttermilch nötig, die kosteten zusammen 15 Pfennige. Die in der Brotsuppe mitgekochten Pflaumen wurden genau nach Zählen verteilt.

Das Weißbrot wurde Mittwochs und Samstags gemengt, in ein Handtuch verknotet, zum Bäcker gebracht. Mittwochs waren es drei, Samstags vier „Wecken“, davon war einer ein „Rosinen- und Korinthe-Weck“, der bei ganz hohen Festtagen einen Zusatz von Butter, Zitronat und Mandeln erhielt. Der Versuch, die Mandeln durch Haselnüsse oder Bucheckern zu ersetzen, durfte beileibe nicht gerügt werden.

Für die Kinder, die zur Schule gingen, gab es Morgens fünf Butterbrote, drei zum sofortigen Verzehr, zwei zum Mitnehmen. Das wurde strenge innegehalten. Zum Nachmittags- oder Vieruhrskaffee gab es zwei, an Butterbrotsabenden drei Butterbrote. Die Butter wurde oft durch reines selbstausgelassenes Schweineschmalz ersetzt, besonders wenn sie von einer Mark das Pfund um fünf oder zehn Pfennige im Preise stieg.

Butter dick schmieren war verpönt. Ging man zu Besuch, so erhielt man den Rat mit: „Benimm dich anständig und schmier nicht so dick die Butter.“

Montags und Donnerstags waren Butterbrotsabende, wie erwähnt, gab es Dienstags Brotsuppe. Mittwochs gab es Buchweizenpfannekuchen in Oel gebacken mit Möhrenkraut. Freitagabends Heringssalat, Samstagabends „Ruwidiwupp Franzosensupp“, Sonntagabends Reisbrei mit braunem Zucker und Zimmet oder auch „Rissepapp met selverne Läpels“ (4) genannt. Süße Speisen gab es neben dem Reisbrei nicht viele. Griesmehlpudding mit verlängertem Himbeersaft war schon etwas Besonderes.

Am meisten sättigte die Franzosenzupp. Um drei Uhr Nachmittags wurde schon der ganze Kalbskopf, der eine Mark kostete, in einem großen Topf aufgesetzt. In die Suppe kam einfach alles, Kartoffeln, Möhren, Sellerie, Kohlrabi, Savonen (5) und die vielen Kräuter. Der wundervolle Geruch von dem feinen Gekochs regte so auf, daß selbst der Rohrstock in der Schublade nicht schreckte.

Am Freitage zierte den Abendtisch der Heringssalat, der, stets frisch zubereitet, halb warm gegessen wurde. Auf drei Kinder ein Hering. Die Heringe wurden fein zerschnitten und so unter die geschnittenen Pellkartoffeln mit Zwiebeln, Essig, Oel, Pfeffer und Salz verrührt, daß keiner etwa mehr erwischte als der andere.

Der Heringssalat wurde löffelweise nach Alter und Größe verteilt.

„Mutter, der Willi Müller hat immer Wurst oder Speck auf dem Brot.“

„Wurst und Käse verdummt. Wo sitzest Du? Wo sitzt der Willi Müller? Tauscht einmal die Butterbrote, dann sitzt der bald obenan und Du sitzest untenan.“

Ein Ei gab es wohl einmal, nur eins. Zwei Eier bei einer Mahlzeit essen, unglaublich, unmöglich, vor allem unschicklich.

„Alle andere Esserei ist nichts gegen das Mittagessen, da muß die Grundlage gelegt werden.“

Sie wurde gründlich gelegt. Jeden Mittag gab es zunächst eine Suppe. Das Hauptgericht war das „Gemüse“, so wurde das Eintopfgericht bezeichnet. Besonders zu erwähnen als Eintopfgericht ist „Himmel und Erde“ Kartoffeln und Aepfel zusammen. Ueber den wohlgefüllten Teller kamen von dem gebratenen Speck einige Würfel und etwas braunes Fett. Die Kunst bestand darin, diese Zutat langsam mitzuessen. „Nicht das Leckerste vorweg!“ Im Winter gab es im regelmäßigen Wechsel Sauerkraut, Stielmus, eingemachte Bohnen aus den großen Tontöpfen, Möhren, Wirsing aus dem Keller, Winterkohl, Rosenkohl frisch. Das Gemüse war immer mit Kartoffeln durcheinander gekocht und gut gefettet. Selbstverständlich spielten auch die Hülsenfrüchte eine große Rolle. Die weißen Bohnen dienten zur Suppe, zum Salat, den es wohl schon einmal an Butterbrotsabenden gab, und als Beikost zu den Möhren und zum Sauerkraut. Erbsen waren mit der Schale billiger und auch nahrhafter.

„Ein fettes Gemüse ist besser wie ein mageres Fleisch.“ Das Fleisch war ein Leckerbissen und zwar ein spärlicher. Dreimal in der Woche gab es „für all die Mann“ anderthalb Pfund Rindfleisch, Kostenpunkt eine Mark.

Das Rindfleisch diente hauptsächlich für die gute Suppe, so bekamen alle etwas, vom Fleisch selbst gab es nur ein Häppchen. Sonntags gab es Braten, Sauerbraten, Kalbsbraten, auch Hammelbraten.

Der Braten wurde übrigens kartendünn geschnitten.

„Nichts ist unschmackhafter wie dick geschnittenes Fleisch.“ Das Beste vom Fleisch saß am Knochen. Der „Knursch“ oder Knorpel war unbedingt nötig, wenn man kräftig werden wollte. Alle Knochen mußten sorgfältig ausgesaugt werden. Im Mark saß Mark! Schweinekoteletten gab es auch wohl, aber die ließen sich so schlecht einteilen, besser ging das mit Bratwurst, die nur den Fehler hatte, daß sie in der Pfanne so schrumpfte. Freitags gab es Fisch. Die grünen Heringe waren so billig, daß jeder davon essen konnte, wie er wollte. Beim Schellfisch gab es Stücke. Der „Kuschelmusch“, Stockfisch mit Zwiebeln durcheinander, gestattete auch kräftiges Einhauen. Es gab auch wohl frische Flußfische, deren Fischblasen so fein unter der Sohle knallten. Maifisch war beliebt, es gab ordentlich davon.“

Soweit Paul Boskamp, der offensichtlich hier authentische Kindheitserinnerungen wiedergibt. Kein Schwelgen also in üppiger Brauhausküche mit fetten Würsten, Eisbein, Sauerbraten, Rindergulasch und prall gefüllten Kohlrouladen. Bei den noch ärmeren Schichten wie den Massen der einfachen Arbeiter, Hilfsarbeiter, Tagelöhner und Handlanger ging es sicherlich noch wesentlich karger zu, ganz zu schweigen von den wahrhaft Bedürftigen, den Arbeitslosen, chronisch Kranken, Verwitweten und Altersarmen. Hier war Schmalhans der Küchenmeister, wie es sich auch in einem kleinen Vers ausdrückt, den mir mein Vater (Jahrgang 1911) überliefert hat und den ich nie vergessen habe:

Kartoffelsupp, Kartoffelsupp,

de janze Ziet Kartoffelsupp.

Von eene Knoch

de janze Woch

sojah et Sonndaachs noch.

Anmerkungen und Literatur

(1) Angaben nach: Hein Hoebink, Aufbruch in die Moderne (1850 – 1914), in: GFW-Verlag (Hrg.), Düsseldorfer Wirtschaftschronik, Wien 1996, S. 141 f.

Ein eher etwas abgelegen publizierter Band, der aber eine sehr schöne Zusammenfassung der Düsseldorfer Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis in die Gegenwart liefert. Für das 19. Jahrhundert ansonsten immer noch Standard:

Hugo Weidenhaupt (Hrg.), Düsseldorf. Geschichte von den Ursprüngen bis ins 20. Jahrhundert, Band 2 und 3, Düsseldorf (Schwann im Patmosverlag) 1990, 2. Aufl.

(2) Paul Boskamp, Hausmannskost, in: Jan Wellem 6, 1931, abgedruckt in: Herbert Prokasky, Karin Füllner, Dokumentation zur Geschichte der Stadt Düsseldorf Bd. 7, Düsseldorf 1850 bis 1914. Das Zeitalter der Industrialisierung, Quellensammlung, hrg. Pädagogisches Institut der Landeshauptstadt Düsseldorf, 1986), S. 292 – 294

Nutzung mit freundlicher Genehmigung des Schulverwaltungsamtes der Stadt Düsseldorf

(3) Im Text steht „verknujen“, vermutlich ein Schreib- oder Setzfehler. Zu „verknusen“ das DWDS: „verknusen Vb. ‘ertragen’ (seit Mitte 19. Jh. gelegentlich literatursprachlich), heute nur noch in der Wendung jmdn., etw. nicht verknusen können ‘nicht ausstehen, nicht ertragen, nicht leiden können’, ausgehend von nd. md. verknūsen ‘aufzehren, essen’, nd. auch ‘verdauen’ und übertragen ‘innerlich verarbeiten’, eigentlich wohl ‘zermalmen, zerquetschen, zerkauen’“: https://www.dwds.de/wb/verknusen

(4) Also Reisbrei mit silbernen „Läpels“. Was die sein sollen, konnte ich nicht herausfinden. Vielleicht weiß das jemand aus der Leserschaft?

(5) „Savonen“: Siehe Anmerkung (4), für mich ebenfalls nicht identifizierbar. Möglicherweise handelt es sich um einen Schreibfehler und es sind Saubohnen (Dicke Bohnen) gemeint?

© Dr. Peter Hachenberg