Jan Wellem und das Kinngrübchen
Kurze Bemerkungen zu Bildnissen des Kurfürsten Johann Wilhelm
VON PETER HACHENBERG
Als selbstbewusster Fürst präsentiert er sich stolz zu Pferde vor dem Düsseldorfer Rathaus: Johann Wilhelm von der Pfalz, der mächtige Herzog von Jülich-Berg und als Pfalzgraf bei Rhein Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. 1658 im Düsseldorfer Schloss geboren, residierte er dort bis zu seinem Tod 1716.

Man verewigte den Fürsten in zahlreichen Gemälden, Graphiken, Miniaturen und Statuen, aber Kinderbildnisse sind äußerst rar. Die Münchner Pinakotheken sind zwar im Besitz eines Porträts unseres „Jan Wellem“ im Alter von etwa sechs Jahren, aber das Johann Spilberg zugeschriebene, wohl 1664 entstandene Bild ist zz. nicht ausgestellt und steht im Internet nur in einer groben Schwarz-Weiß-Fotografie zur Verfügung.
Die Kunstkennerin und Grafikerin Esther Fleischel hat daraus ein prächtig koloriertes und ausgestaltetes Bildnis geschaffen, das wir hier exklusiv präsentieren.

Die Züge des Fürstenantlitz haben sich bis ins reife Alter erhalten, wie ein Vergleich mit späteren Gemälden um 1710 zeigt, selbst in Anbetracht der Tatsache, dass das Originalfoto aus München sehr unscharf ist. Die Ähnlichkeit ist kaum zu leugnen.
1708, auf dem Höhepunkt seiner Macht, lässt Johann Wilhelm sich zusammen mit seiner zweiten Gattin Anna Maria Luisa de Medici von seinem Hofmaler Jan Frans van Douven malen, das Gesicht in nahezu gleicher, leicht nach links gedrehter Frontalposition wie im Knabenporträt. Die Augenpartien fallen freilich unterschiedlich aus: Den neugierig geöffneten, großen Augen des Knaben steht der Blick des gereiften Mannes mit leichtem Lidüberhang gegenüber.

In der Internet-Sammlung der Alten Pinakothek findet sich ebenfalls von van Douven ein weiteres nicht ausgestelltes Gemälde (1708/13) mit der Darstellung als römischer Kriegsgott Mars.
Im Gegensatz zum ersten Altersporträt mit dem selbstbewussten, aber doch freundlichen, fast sanften Gesichtsausdruck zeigt der Fürst sich hier im Profil mit scharf geschnittenen, eher düster-entschlossen wirkenden Zügen. Man sollte ohnehin nicht vergessen, dass Johann Wilhelm nicht nur der kunstsinnige, musikliebende Barockfürst war, wie er gerade in seiner Geburtsstadt Düsseldorf oft etwas verklärend gesehen wird, sondern eben auch Kriegsherr, verwickelt in die zahlreichen blutigen Auseinandersetzungen seiner Zeit. So spielte er eine tragende Rolle bei der Belagerung und nahezu völligen Zerstörung von Kaiserswerth 1702, als dieses während des spanischen Erbfolgekrieges von französischen Truppen besetzt war.
Eines der auffälligsten Merkmale im Gesicht Jan Wellems – das Kinngrübchen – will ich hier weiter illustrieren mit einer sehr hübschen Grafik. (1) Man sieht den 20jährigen Johann Wilhelm und seine erste Gattin, die Erzherzogin Maria Anna Josepha von Österreich, die Schwester Kaiser Leopolds, anlässlich ihrer Hochzeit 1678.
Über dem Paar schwebt der kaiserliche Adler, der pfälzische Löwe umklammert einen Baumstamm – sprich: Stammbaum –, aus dem die Brautleute herauswachsen. Die Städteansichten zeigen links die Kaiserstadt Wien und rechts Neuburg an der Donau, den Stammsitz der Herzöge und Pfalzgrafen von Neuburg, die Anfang des 17. Jahrhunderts die Herrschaft über die Herzogtümer Berg und Jülich und damit in Düsseldorf antraten. Ein freundliches Engelchen, ein Putto, sitzt im unteren rechten Bildteil und malt das Heirats- oder Allianzwappen, bei dem der rechte, dem Manne zugeordnete Teil sehr deutlich als Pfalz-Neuburger Hauswappen zu erkennen ist. (2)

Betrachtet man das Gesicht ein wenig genauer, so ist – neben der wahrlich wallenden Perücke – die Mulde im Kinn, eben das Kinngrübchen, unübersehbar, wie tatsächlich ja auch in den schon zuvor betrachteten Bildern. Glaubt man Wikipedia, so haben heutzutage nur ca. 2% der Männer solch ein charakteristisches Merkmal, es wird zu Jan Wellems Zeiten wohl ähnlich gewesen sein.
Der Kunsthistoriker Martin Miersch bemerkt dazu bei der Analyse der Darstellungen dreier Barockfürsten, unter ihnen eben Johann Wilhelm, dass diese „versuchten auf dem Wege der Druckgraphik ihr Bild im In- und Ausland zu verbreiten. Physiognomische Besonderheiten wie (…) das Grübchen am Kinn Johann Wilhelms wurden darin oft überbetont, um das Typische der Physiognomie herauszuarbeiten und damit die Wiedererkennbarkeit auch in kleinstem Format zu gewährleisten.“ (3)
Das Kinngrübchen als Mittel der Selbstvermarktung im Massenmedium der Druckgraphik. Lebte Johann Wilhelm heute, wäre er ohne Zweifel auch in den sozialen Netzwerken unterwegs! Wer mehr über das Knabenporträt erfahren möchte und wo man in Düsseldorf ein weiteres Kinderbildnis des Kurfürsten anschauen kann, sei auf den Beitrag „Der Kurfürst als Knabe“ in diesem Blog verwiesen.
© Dr. Peter Hachenberg 24.03.22
Danksagung
Ich bedanke mich sehr herzlich bei Esther Fleischel für die Überlassung der wunderschönen Kolorierung des Knaben Jan Wellem und beim Heimatforscher Wolfgang Kaps aus Neuburg an der Donau für die wertvollen Hinweise zur Geschichte Neuburgs und zur Biographie des Kurfürsten.
Literatur und Anmerkungen
(1) Wer auf das Bild klickt, kommt auf eine Quellenangabe, in der es heißt, die Grafik sei einem „Klebeband“ entnommen. Das klingt natürlich erst einmal merkwürdig. Gemeint ist ein Buch – ein Band (von „der Band“) – mit leeren Seiten, in das Illustrationen eingeklebt wurden, ab dem 16. Jahrhundert eine beliebte Form der Sammlung grafischer Werke. Näheres hier bei Wikipedia.
(2) Wappen von Pfalz-Neuburg. In der Mitte: Pfalzgraf bei Rhein. Oben: 1. Wittelsbach-Bayern, 2. Jülich, 3. Kleve, 4. Berg. Unten: 1. Veldenz, 2. Mark, 3. Ravensberg, 4. Mörs (ältere Schreibweise von Moers)
(3) Martin Miersch, Strategien der Herrschaftsinszenierung. Johann Wilhelm von der Pfalz – Max Emanuel von Bayern – Joseph Clemens von Köln, in: Benedikt Mauer (Hrg.), Barocke Herrschaft am Rhein. Kurfürst Wihelm II. und seine Zeit, Düsseldorf (Droste) 2009, S. 92
Ihre Beiträge zeichnen sich nicht nur durch große Fachkenntnis sondern auch durch eine ausdrucksstarke und einfühlsame Sprache aus. Zudem erfährt man auch Dinge, die selten in einschlägigen Wikipedia-Artikel zu finden sind. Ich selbst habe bisher in allen Beiträgen Neues gelernt – was will man mehr! Chapeau, lieber Herr Hachenberg. Ich bin schon auf den nächsten Beitrag gespannt.
Peter Hachenberg recherchiert immer sehr gut und bringt seine Ergebnisse stets unterhaltsam und gut illustriert zu Papier bzw. zu Gehör.
Bezüglich besonderer körperlicher Merkmale wie dem Kinngrübchen fällt mir noch die Habsburger Unterlippe ein, die die zeitgenössischen Porträtmaler eher unter- als überbetont haben dürften. Weglassen konnten sie sie nicht. Dazu war sie zu prägnant.
Ich war noch nie in Düsseldorf, aber Peter Hachenberg‘s kurzweilige Geschichten, die ich gerne lese, bringen mir die Stadt näher. Danke für die Veröffentlichung.