Wolfgang Kubin – Der Dichter und die Düssel

VON PETER HACHENBERG

Von Düsseldorf hat er eigentlich nie wirklich Notiz genommen: Wolfgang Kubin (chin.: Gu Bin, geb. 1945), weltberühmter Professor für Sinologie (Chinawissenschaften), Schriftsteller und Übersetzer, preisgekrönt nicht nur für seine wissenschaftlichen Arbeiten, sondern auch Verfasser eines umfangreichen literarischen Werkes. https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Kubin

Wolfgang Kubin – Foto: Eckhard Henkel

Fachwissenschaftler und Chinakenner schätzen sein internationales Standardwerk, die zehnbändige „Geschichte der chinesischen Literatur“, oder seine ebenfalls zehnbändige Reihe „Klassiker des chinesischen Denkens“ sowie seine Essays, Liebhaber der Belletristik seine zahlreichen Übersetzungen chinesischer Dichter sowie seine eigenen Erzähl- und Gedichtbände. Zuletzt hat er u.a. die ersten beiden Teile seiner Autobiographie vorgelegt.

Wolfgang Kubin lebt in China, aber auch in Bonn, und damit gar nicht so weit entfernt, aber Düsseldorf hat er kaum wahrgenommen, allenfalls als Geburtsstadt Heinrich Heines und natürlich bei diversen Lesungen und Vorträgen. Das sollte sich ein wenig ändern, als er im Sommer 22 eine Führung durch die Düsseldorfer Altstadt mitmachte, bei der auch einige seiner chinesischen Studierenden dabei waren. Jedenfalls bedankte er sich mit zwei Gedichten, von denen hier das erste exklusiv präsentiert wird.

Kubin ist in seiner Poesie bildstark und präzise, aber nicht immer leicht zu entschlüsseln. Deshalb ist dem Text eine Reihe von Bildern beigegeben, die einige der poetischen Rätsel auflösen. Man muss dazu ein wenig scrollen, aber es ist der Mühe wert, und man erhält zusätzlich einige interessante historische Aufschlüsse, das kann ich versprechen.

Noch zwei Hinweise: Bei der im Gedicht erwähnten Julia handelt es sich tatsächlich um eine chinesische Studentin. Chinesen, die eine Fremdsprache lernen, nehmen häufig gerne ein „Pseudonym“ in dieser neuen Sprache an.

… und weil man Gedichte nicht nur lesen, sondern möglichst auch hören sollte, findet sich hier der Link zu einem YouTube-Video mit einer gesprochenen Version:

Die Düssel und ihr Dorf

Und schon sind wieder wir unterwegs,
heute mit Peter und Julia. Die Düssel ist
unser Ziel, die Mauer. Wo einst sich
Stein und Wasser verbanden, erhob sich
blutig eine Stadt über einem Dorf.

Das Personal vierhundert Fässer Alt
und eine Bierschlacht gegen den Bischof
von Köln. So ward Kölsch geboren,
die Grenze von Tradition und Revolution,
von schickem Reichtum und hübschem Klüngel.

Frauen sind beweglich, sagen die einen,
Frauen sind teuer, sagen die anderen.
Was hatte Wilhelm der Reiche zu bieten?
Die letzte Medici? Das Recht der ersten Nacht?
Eine Gemäldegalerie mit Hündchen zu Füßen?

Heinrich Heine fragt sich heute vor seiner Tür,
wäre Julia nicht die bessere Partie gewesen?
Aus reicheren Landen, als ein dunkles Alt
je vermuten läßt? Wir stellen erhellende Fragen
nach Wilhelm auf dem Altar wie auf einer Bahre,

nach dem Vögelchen in Jesus‘ Hand, eine Gabe
an die heilige Mutter. Peter hat keine Antwort,
er spricht trauernd vom eingemeindeten Bilk,
seiner Heimat, von der Autobahn unter der Promenade
am Rhein. Ach, so viele heißen Wilhelm an der Düssel

und im Dorf. Und wir heißen Wolfgang, mal Goethe,
mal Mozart, mal Kubin. Und was ist weiter
mit Peter und Julia? Den einen zieht es zu Dim Sum,
die andere zur Kö. Keine Chance für das wilhelminische
Reich. Da mag Wilhelm sich mühen in seinem Schlummer

wie der schlafende Buddha in Peking. Peter weiß
keinen Rat. So kehrt Julia zurück zur Walking Bag in Bonn
und der Meister entfleucht zu den Stränden von F.
Es bleiben uns vor Augen Petrus und sein Schlüssel,
das Jesuskind mit offenen Armen als großer Krankenwärter

im großen Hospital der großen Düsseldorfer Welt.

© Wolfgang Kubin, August 2022 (aus "Puer senex" in Arbeit)

Erläuterungen von Wolfgang Kubin: Das Dorf an der Düssel mit vierhundert Einwohnern erhielt 1288 das Stadtrecht und gemeindete Bilk 1384 ein. Der Text verarbeitet nicht streng historisch den von vielen Herrschern namens Wilhelm geprägten Ort und dessen reiche Religionsgeschichte (Kirchen). Seine Agenten sind wirkliche Personen. Alt: Altbier, welches in Düsseldorf getrunken wird und stets zum Bierkrieg / Grenzkrieg mit Köln (Kölsch) führt. Schlafender Buddha: Am Stadtrand von Peking findet sich der Tempel des Schlafenden Buddha. Dim Sum: Düsseldorf verfügt über eine Fülle authentischer chinesischer Restaurants. Walking Bag: Straßenkunst in Bonn (2022). F.: Fuerteventura, wo der Fachmann für Düsseldorfer Stadtgeschichte Peter (Hachenberg) gern am weiten Strand weilt. Hospital / Krankenwärter: so Johann Wolfgang von Goethe zum Zustand der Welt (1787). Der Meister weilte zweimal in Düsseldorf, wo seiner seit 1956 in einem Museum gedacht wird.  
Bilder und Erklärungen

Strophe 1: … erhob sich blutig eine Stadt über einem Dorf …

Stadterhebungsmonument: Nach der Schlacht bei Worringen gegen den Kölner Erzbischof wird Düsseldorf im August 1288 zur Stadt erhoben.

Stadterhebungsmonument: Nach der Schlacht bei Worringen gegen den Kölner Erzbischof wird Düsseldorf im August 1288 zur Stadt erhoben.

Strophe 3: …. Wilhelm der Reiche …

Stadterhebungsmonument: Nach der Schlacht bei Worringen gegen den Kölner Erzbischof wird Düsseldorf im August 1288 zur Stadt erhoben.

Herzog Wilhelm der Reiche von Kleve, Jülich und Berg regierte von 1539 bis 1592 im Düsseldorfer Schloss.

Strophe 3: … die letzte Medici …

Anna Maria Luisa di Medici (1667 – 1743) war die zweite Gattin des in Düsseldorf residierenden Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz (1658 – 1716) , der an das Schloss eine Gemäldegalerie anbauen ließ. Das Doppelporträt zeigt zu Füßen des Herrscherpaares zwei Hunde.

Strophe 4: … Heinrich Heine fragt sich heute vor seiner Tür …

Bolkerstraße, im Hinterhaus dieses Gebäudes wurde Heinrich Heine 1797 geboren.

Strophe 4: … Wilhelm auf dem Altar wie auf einer Bahre …

Grabmal Wilhelm des Reichen in der Basilika St. Lambertus (Foto: Peter Hachenberg mit freundlicher Genehmigung der Pfarre St. Lambertus Düsseldorf)

Strophe 5: …. nach dem Vögelchen in Jesus‘ Hand, eine Gabe an die heilige Mutter ….

Wandmalerei (nach 1450) in St. Lambertus: Jesus reicht seiner Mutter ein Vögelchen (Foto: Peter Hachenberg mit freundlicher Genehmigung der Pfarre St. Lambertus Düsseldorf

Strophe 7: … der schlafende Buddha in Peking …

Statue von 1321 im Tempel des schlafenden Buddha (historische Aufnahme von 1906)

Strophe 7: … Petrus und sein Schlüssel …

Statue des heiligen Petrus in der Andreaskirche Düsseldorf (Foto: Peter Hachenberg mit freundlicher Genehmigung des Dominikanerkonvents an St. Andreas )

Strophe 7: … das Jesuskind mit offenen Armen …

Gemälde von Ernst Deger (1809 – 1885) in der Andreaskirche Düsseldorf (Foto: Peter Hachenberg mit freundlicher Genehmigung des Dominikanerkonvents an St. Andreas)

© Dr. Peter Hachenberg 19.03.2023